Nun aber wirklich: Raus aus der SPD!

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Nach vielen Zweifeln und Überlegungen ist es nun endlich Zeit: Ich trete aus der SPD aus. Im Folgenden mein offener Brief an den Parteivorstand – mit der für mich erstaunlichen Erkenntnis, dass ich schon vor vier Jahren zu liberal für die SPD war.

Liebe Genossen und Genossinnen,

Heute muss ich Euch mitteilen, dass ich die SPD verlassen werde. Schon seit einiger Zeit überlege ich, ob die Ziele der SPD auch noch meine Ziele sind. Und auch, wenn es schon länger einzelne Differenzen zwischen meinen Meinungen und den von den Genossen in Regierungsverantwortung vertretenen Positionen gibt, ist eine Parteimitgliedschaft auch eine Art Beziehung. Ich bin für die SPD zur Ortsgemeinderatswahl 2014 angetreten, war Schriftführerin im Ortsverein Enkenbach-Alsenborn, stellvertretende Vorsitzende der Jusos Kaiserslautern und Beisitzerin im Landesvorstand der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) in der SPD Rheinland-Pfalz. Mit vielen Parteimitgliedern habe ich mich bis zuletzt sehr gut verstanden. Dennoch trete ich heute aus der SPD aus.

Zwar vertrete ich noch immer die drei Grundwerte der SPD: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Laut dem Grundsatzprogramm der SPD, dem Hamburger Programm, sind diese gleichrangig. Zum Thema Freiheit stehen jedoch zwei interessante Sätze im Programm:

Der eine zeigt das Verhältnis der Freiheit eines Menschen zur Freiheit eines anderen. Es heißt im Hamburger Programm: „Die Freiheit des Einzelnen endet, wo sie die Freiheit des Anderen verletzt.“ Das haben wir der Pandemie in ähnlicher Form schon oft gehört. Viele Einschränkungen sollen dazu dienen, dass jeder – falls notwendig – eine gute Krankenhausbehandlung bekommen kann. Es geht zudem um Einschränkungen der eigenen Freiheit für die Freiheit der anderen, damit diese sich nicht übermäßig einschränken müssen – im Sinne der Solidarität. Das wäre auch soweit in Ordnung, wenn es nicht Maßnahmen gäbe, die mit dem Virus zunächst gar nicht viel zu tun haben. Ob nächtliche Spaziergänge zu verbieten – aber nicht Spaziergänge am Tage, wenn man auf mehr Menschen trifft – oder es erneut nicht zu ermöglichen, gut geprüftes Feuerwerk der Kategorie „F2“ zu kaufen. Das halte ich für falsch. Ich erinnere mich noch an extrem laute Knallgeräusche aus der Umgebung beim vergangenen Jahreswechsel. Das kannte ich aus den Jahren zuvor in dieser Lautstärke nicht. Wer mit so einer Maßnahme Krankenhausaufenthalte verhindern möchte, sollte sich fragen, warum er nicht stattdessen andere, möglicherweise gefährlichere Aktivitäten verbietet. Und wer allein spazieren geht greift nicht in die Freiheit anderer ein. Diese beiden erwähnten Maßnahmen halte ich für Unsinn. Warum distanziert sich die SPD nicht deutlich von solchen Maßnahmen? Was ich außerdem im Detail an den Anti-Coronavirus-Maßnahmen kritisiere, könnt Ihr übrigens in der Anlage zu diesem Brief lesen. Dort findet ihr meine beiden bisher erschienen Blog-Beiträge zum Thema.

Meiner Meinung nach wird uns derzeit zu viel Unfreiheit zugemutet. Auch zum Verhältnis der Unfreiheit anderer zur eigenen Freiheit sagt das Hamburger Programm der SPD etwas: „Wer anderen Unfreiheit zumutet, kann auf Dauer selbst nicht frei sein.“ Über die Bedeutung dieses Satzes kann man sicher diskutieren. Ich verstehe ihn so, dass sich Freiheit nur als Freiheit für alle verwirklichen lässt. Auch das kann man wieder verschieden interpretieren: Angefangen von der Abschaffung einzelner Coronavirus-Regeln bis hin zum Gedanken, inwiefern Gefängnisse in der aktuellen Form noch zeitgemäß sind. Zu diesem Thema lohnt es sich, sich mit den Veröffentlichungen von Norbert Denef, Johannes Feest und Thomas Galli zu beschäftigen.

Ein erster Schritt in Richtung mehr Freiheit wäre es, sich mal Gedanken darüber zu machen, welche Strafgesetze wirklich gebraucht werden. Natürlich gibt und gab es immer wieder einzelne Ideen, Paragraphen des Strafgesetzbuches abzuschaffen, wie den „§ 219a Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ oder den von einigen als „Majestätsbeleidigung“ bezeichneten, ehemaligen Paragraphen 103. In den vergangenen acht Jahren sah ich jedoch eher den umgekehrten Trend: Das Strafgesetzbuch wurde ziemlich oft ergänzt. Eine geschlossene „Strafbarkeitslücke“ hier, eine Erhöhung des Strafmaßes dort. Gegen Ende der 19. Legislaturperiode wurde sogar noch eine Reform der Strafprozessordnung auf den Weg gebracht. Im Bundestag stimmten dieser Änderung nachts die Fraktionen der SPD, CDU/CSU und AfD zu. Waren diese Änderungen alle notwendig und sinnvoll? War Deutschland nicht auch 2013, als ich der SPD beitrat, ein Rechtsstaat?

Schon 2017 überlegte ich, aus der Partei auszutreten. Auch damals störten mich die Reformen des Strafrechts. Weitere Änderungen und die aktuelle Anti-Coronavirus-Politik zeigen mir, dass ich doch liberaler bin als es noch zur SPD passt. Möglicherweise bin ich sogar etwas weiter links als die SPD, die ja von manchen als linke Volkspartei bezeichnet wird. Wie das aber zu den Coronavirus-Maßnahmen passt, die zwar nicht von der Partei selbst, aber von Parteimitgliedern mit Regierungsverantwortung mitentschieden werden, wäre auch mal interessant zu wissen. Zu diesem Thema empfehle ich den Beitrag von Jörg Wimalasena in der „taz“ mit dem Titel „Linke, bleibt autoritätsskeptisch!“.

Liebe Genossen und Genossinnen im Parteivorstand! Auch, wenn Ihr das Parteibuch mit diesem Brief per Post zurückbekommt: In einer Demokratie ist die Debatte wichtig. Ich stehe dem Parteivorstand und allen Genossen und Genossinnen, die ich bereits kenne, weiterhin zum Dialog bereit. Meinungsaustausch ist in einer Demokratie so wichtig wie die Meinungsfreiheit. Wenn wir zwischen allen Demokraten einen höflichen Dialog zulassen, können wir voneinander lernen. So kann Fortschritt entstehen, in dem alle die Chance haben, mitgenommen zu werden, ohne sich ausgegrenzt zu fühlen.

Viele Grüße,

Robin Dabars

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