MEINUNG – „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ heißt es im Grundgesetz. Doch was sollte und was kann das in einer modernen Demokratie heißen? Hier einige Gedanken die zeigen, dass wir sogar etwas aus den USA lernen können.
Vor ein paar Wochen musste ich staunen: Der Mitteldeutsche Rundfunk veröffentlichte ein Video. Es zeigt einen Polizisten im Gespräch mit einem Aktivisten der „Letzten Generation“ und später, wie zwei Polizisten den Aktivisten von der Straße tragen. Das Video löste auf Twitter eine Diskussion über Schmerzgriffe aus und der MDR versah das Video auf Instagram mit einer Triggerwarnung „Gewalt“ und schreibt im dazugehörigen Internet-Artikel, dass Szenen im Video „verstörend wirken“ könnten.
Warum ich staunen musste? Weil das Video in einer Form veröffentlicht wurde, bei der die Gesichter der Polizisten sichtbar sind und die Stimme des einen Polizisten klar hörbar. Um zu wissen, warum dies erstaunlich ist, müssen wir ziemlich genau sieben Jahre in die Vergangenheit gehen: In Otterbach in Rheinland-Pfalz sollte 2016 ein Junge gegen seinen Willen von der Mutter getrennt werden. Dabei kam es ebenfalls zu einem Polizeieinsatz, der ebenfalls gefilmt wurde. Die „BILD“ veröffentlichte ein Video dieses Einsatzes, bei dem die Gesichter verpixelt sind, die Stimmen jedoch zu hören. Ob das dort zu sehende Verhalten der Polizei wirklich dem Kindeswohl entsprach, mag ich hier nicht diskutieren. Jedoch wurde ein Video dieses Einsatzes offenbar auch auf Youtube veroffentlicht – dies hatte jedoch juristische Folgen: Eine Angeklagte wurde zu einer Geldstrafe von insgesamt 9000 Euro verurteilt. Grund: Die Vertraulichkeit des Wortes und das Recht am eigenen Bild seien verletzt worden (Quelle: https://www.anwalt.de/rechtstipps/ag-kaiserslautern-hohe-geldstrafe-wegen-verbreitung-eines-films-ueber-polizeieinsatz_085325.html).
Und gerade der Punkt mit der Vertraulichkeit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes ist immer wieder Thema wenn es darum geht, dass Menschen Polizeieinsätze filmen. Der NDR hat darüber eine ganze Fernsehsendung gemacht (Link zur Sendung). Diese zeigt auf, dass in manchen Fällen eine Video- oder Ton-Aufzeichnung ein wichtiges Beweismittel sein kann. Leider scheint – wie in der Sendung deutlich wird – rechtliche Unklarheit zu herrschen, ob sich Polizisten wirklich auf den entsprechenden Paragraphen berufen können, nach dem das Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes strafbar ist. Und vor allem, ob das, was Polizisten im Einsatz zu den Bürgern sagen, öffentlich ist oder nicht.
Ich finde, dass hier eine neue, liberale Rechtslage geschaffen werden sollte, die Aufzeichnung und Veröffentlichung von Polizeieinsätzen vollständig legalisiert. Zum einen, weil solche Aufzeichnungen oft mit Handys gemacht werden und die Beschlagnahmung von Handys in einer Zeit, in der vom Bezahlen bis zum Deutschlandticket alles digital sein soll, meiner Meinung nach allgemein kaum noch verhältnismäßig sein kann (siehe dazu diesen Beitrag). Zum anderen schafft das öffentliche Zeigen der Polizeieinsätze eine Transparenz. Während eine Aufnahme im Gerichtssaal – wie in der NDR-Sendung gezeigt – bereits bei der Wahrheitsfindung helfen kann, kann ein öffentliches Video aufzeigen, was Handeln der Polizei bedeuten kann. Die Bevölkerung muss wissen, was bei Polizeieinsätzen passiert – nur so kann sie auch darüber diskutieren, was schief läuft und was sich ändern muss. Oder auch was nach geltender Rechtslage zwar korrektes Verhalten der Polizei ist, aber vielen Menschen vielleicht dennoch zu brutal. So könnten die Befugnisse der Polizei in einem demokratischen Gesetzgebungsprozess neu ausgelotet werden.
Als Vorbild für Transparenz kann die USA genannt werden: Zum einen gibt es „Copwatch“-Gruppen, die Polizeieinsätze filmen und veröffentlichen oder die Einsätze teilweise sogar über Stunden live ins Internet übertragen. Zum anderen gibt es dort viele Einsätze, die mit Körperkameras der Polizei aufgezeichnet und später im Internet veröffentlicht werden – oft jedoch von Menschen, die diese Videos zunächst von der Polizei anfordern. In diesen Videos sind übrigens häufig Gesichter von Polizisten erkennbar und der Ton ist über weite Strecken auch zu hören. Heißt, dass es nicht nur um die Frage gehen kann, ob man den Ton aufzeichnen darf sodern auch darum, inwiefern das Recht am eigenen Bild für Polizisten im Einsatz gilt. Übrigens zeigen diese Videos oft auch keine körperliche Gewalt, was zeigt, dass man bei einer Legalisierung des „Copwatch“ in Deutschland auch keine Einschränkung einbauen muss, nach der man beispielsweise nur Videos veröffentlichen dürfte bei besonderem öffentlichen Interesse oder bei Gewaltausübung. Zudem könnten Positivbeispiele helfen das Vertrauen in die Polizei zu stärken.
Eine Idee, die zusätzlich noch das Vertrauen in die Polizei erhöhen könnte, wäre eine Demokratisierung. Die Polizei zählt zur Exekutive und damit zu den Staatsgewalten. Warum aber werden die Menschen der Staatsgewalt, die den Bürgern am präsentesten ist, nicht direkt von der Bevölkerung gewählt? Wie erwähnt könnte es möglicherweise polizeiliches Verhalten geben, dass zwar rechtmäßig ist, aber für viele Menschen dennoch nicht in Ordnung. Da sollte es die Möglichkeit geben, Polizisten abwählen zu können. Im Grundgesetz heißt es: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Wenn wir also eine Polizei haben wollen, die nahe bei den Menschen ist und den Menschen dient, dann sollten wir alle die Macht haben zu entscheiden, wer diese Staatsgewalt stellvertretend ausüben darf und wer nicht. Beispielsweise durch eine erste Bestätigung nach bestandener Polizei-Ausbildung, regelmäßiger Bestätigung alle paar Jahre und der Möglichkeit einer Abwahl, die jedoch erst stattfindet, wenn genügend Unterstützerunterschriften vorliegen. Diese Art der Demokratisierung könnte das Vertrauen der Menschen in die Polizei erhöhen, weil die Ausübung des Dienstes eine bestimmte Beliebtheit in der Bevölkerung voraussetzt.
Voraussetzung dafür, dass dieses Prinzip der Wahl und Abwahl der Polizeibeamten funktioniert, ist natürlich die oben geforderte Legalisierung des Aufzeichnenes und Veröffentlichens von Polizeieinsätzen in Bild und Ton. Zusätzlich muss aber auch bekannt sein, wer die Polizisten sind, über deren Einsatz diskutiert wird – logischerweise, da man sonst nicht weiß, wen man wählen oder abwählen kann. Zeigt, dass wir auch diskutieren müssten, ob sich Polizisten vermummen dürfen oder ein im Einsatz erkennbares Gesicht nicht zur Transparenz dazugehören muss. Von Demonstranten erwartet der Staat schließlich auch, dass sie sich nicht vermummen.
Fazit: Eine transparentere Polizeiarbeit und eine demokratischere Polizei könnten Vertrauen in die Polizei stärken, helfen aufzudecken, wenn Straftaten im Amt passieren und allgemein ermöglichen, dass die Befugnisse der Polizei näher an dem sind, was weite Teile der Bevölkerung für legitim halten.